Über die ketogene Ernährung
Jährlich erkranken immer mehr Menschen an Krebs. Viele Krebserkrankte legen Wert darauf, sich nicht allein auf die Schulmedizin zu verlassen, sondern möchten gern zusätzliche proaktive oder alternative Massnahmen ergreifen. In den letzten Jahren hat die ketogene Ernährung, eine Ernährungsweise mit niedrigem Kohlenhydrat- und hohem Fettgehalt, verstärkt Aufmerksamkeit erhalten. Die ketogene Ernährung ist eine der ältesten und sichersten Behandlungsformen von Epilepsie. Heutzutage wird sie von vielen Forschungsinstituten in Bezug auf ihre mögliche Rolle als unterstützende Massnahme einer Krebstherapie untersucht.
Dies stützt sich auf eine Vielzahl von Fallberichten, in denen erstaunliche Ergebnisse dokumentiert wurden. In Zukunft wird es jedoch hoffentlich auch vermehrt klinische Studien geben. Eine klinische Studie hat bisher berichtet, dass die ketogene Ernährung im Vergleich zu einer „normalen“ Ernährung keine ernstzunehmenden Nebenwirkungen mit sich bringt. Zudem konnte durch die ketogene Ernährung die Lebensqualität und der allgemeine Gesundheitszustand der Krebspatienten verbessert werden (Cohen et al. 2018).
Inzwischen gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Artikel und präklinischer Studien, die sich mit dem Wirkmechanismen der ketogenen Ernährung bzw. den Wirkmechanismen von Ketonkörpern auf Krebszellen beschäftigen. Im Folgenden soll ein grober Überblick gegeben werden, auf welche Art und Weise Krebspatienten von einer ketogenen Ernährungsweise profitieren könnten.
Stabiler und niedriger Blutzucker – den Krebszellen das Nahrungsüberangebot entziehen
Die ketogene Ernährung zeichnet sich durch ihren sehr niedrigen Kohlenhydratgehalt aus, der zu einem stabilen und niedrigen Blutzucker ( = Glukose im Blut) führt. Vor mehr als 90 Jahren hat der Nobelpreisträger Otto Warburg herausgefunden, dass Krebszellen auf eine besonders hohe Glukosezufuhr angewiesen sind im Vergleich zu gesunden Zellen, da sie einen anderen und sehr ineffektiven Stoffwechselmechanismus besitzen (Zong, Rabinowitz, & White 2016). Während einer normalen westlichen Ernährungsweise kommt es mehrmals täglich zu hohen Blutzuckerkonzentrationen und somit zu einem Nahrungsüberangebot für Krebszellen. Indem der Blutzucker während einer ketogenen Ernährung gleichmässig niedrig gehalten wird, werden Krebszellen nicht übermässig gefüttert, wodurch ein schnelles Wachstum nicht zusätzlich gefördert wird.
Krebshemmende Wirkung – das vom Körper selbst produzierte „Medikament“
Ketose nennt sich der Stoffwechselzustand des Körpers während einer strikt ketogenen Ernährung. Beta-Hydroxy-Butyrat (BHB) ist der bekannteste Ketonkörper, den der Körper im Zustand der Ketose selbst herstellt. Dieser Ketonkörper zeigt das Potenzial, bestimmte Signalwege in Krebszellen zu unterbrechen. In Zellkulturen hemmt BHB die Aktivität von Enzymen, die für das Wachstum von Krebszellen entscheidend sind. Das bedeutet, BHB könnte die Stoffwechselprozesse in Krebszellen stören oder beeinträchtigen, wodurch das Wachstum oder die Überlebensfähigkeit der Krebszellen reduziert werden könnte. (McDaniel et al. 2011; Zhou, Luo, & Huang 2010)
Entzündungshemmende Eigenschaften – Verbesserung des Allgemeinzustands
Die ketogene Ernährung wirkt entzündungshemmend. Dies ist zum einen auf ihre blutzuckerstabilisierende Wirkung zurückzuführen, und zum anderen weist das BHB selbst antientzündliche Eigenschaften (Huang et al. 2022; Thio et al. 2022) auf.
Weniger chronische Entzündungsprozesse im Körper führen zu einem besseren allgemeinen Gesundheitszustand und oft zu weniger Beschwerden. Zudem sind chronische Entzündungen mit einem erhöhten Krebsrisiko (Brandum et al. 2021; Malhab et al. 2021) assoziiert, weshalb die Reduktion von Entzündungen für Krebspatienten in jedem Fall erstrebenswert ist (Greten et Grivennikov 2019).
Verbesserte Insulinsensitivität – geringeres Krebsrisiko
Das Hormon Insulin ermöglicht Körperzellen die Aufnahme von bestimmten Nährstoffen aus dem Blut, insbesondere von Zucker. Während einer ketogenen Ernährung hat der Körper einen niedrigeren Insulinbedarf, da statt Zucker überwiegend Fett als Energielieferant genutzt wird. Hohe Insulinspiegel sind mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten verbunden (Zhang et al. 2021), weshalb die langfristige Anwendung einer kohlenhydratreduzierten Ernährung von Vorteil sein könnte.
Fazit
Die ketogene Ernährung ist kein Wunderheilmittel, mit dem sich der Krebs „aushungern“ lässt. Einige der potentiellen Vorteile der ketogenen Ernährung sind bisher nur im Reagenzglas oder in Tierversuchen belegt. Diese Ergebnisse sind nicht ohne weiteres übertragbar auf den Menschen, trotzdem ist die Forschung an diesen Wirkmechanismen vielversprechend und gibt Hoffnung. Die ketogene Ernährung ist unter korrekter Anwendung und in Absprache mit dem Arzt ohne gesundheitliches Risiko verbunden. Darüber hinaus wurde eine überwiegend positive Auswirkung der ketogenen Ernährung auf die Lebensqualität von Krebspatienten festgestellt (Cohen u. a. 2018).
Persönliche Schlussworte
Ich war vor 10 Jahren selbst Krebspatientin und habe mich seitdem intensiv mit der ketogenen Ernährung auseinandergesetzt. Während der Akuttherapie und in den Monaten danach bin ich einer strikt ketogenen Ernährungsweise gefolgt und habe mich dabei körperlich und geistig fit gefühlt. Ich habe während meiner Chemotherapie begonnen Sport zu treiben und war im Wartezimmer immer die Person mit den wenigsten Beschwerden und Nebenwirkungen. Inwiefern die ketogene Ernährung tatsächlich ihren Beitrag dazu geleistet hat, lässt sich nicht sagen. In meiner Überzeugung jedoch eine ganze Menge!
Ich möchte an alle Krebspatienten appellieren, sich nicht von den offiziell fehlenden Beweisen mangels klinischer Studien zur ketogenen Ernährung entmutigen zu lassen. Vielmehr empfehle ich, die ketogene Ernährung als Chance zu sehen, selbst aktiv zu werden. Als Möglichkeit, während der Therapie den bestmöglichen Gesundheitszustand zu erhalten, und den Körper im Heilungsprozess und im Kampf gegen den Krebs zu unterstützen. Es wäre doch schade, sich die Chance auf dese Vielzahl an positiven Effekte entgehen zu lassen, nur weil sie noch nicht 100% bewiesen sind.
Wichtige Hinweise
Vor einer Ernährungsumstellung ist unbedingt der verantwortliche Arzt zu konsultieren, um das Vorliegen von Kontraindikationen auszuschliessen. Diese könnten sein z.B. eine Fettsäureoxidationsstörung, Störungen der Ketogenese, Ketolyse oder der Gluconeogenese. Ausserdem sollte eine ketogene Ernährung nicht durchgeführt werden bei Tumoren, wenn das Vorliegen einer BRAF V600E Mutation bekannt ist, da die ketogene Ernährung wachstumsfördernd wirken kann.
Literaturverzeichnis
Brandum, Emma Probst, Astrid Sissel Jørgensen, Mette Marie Rosenkilde, und Gertrud Malene Hjortø. 2021. „Dendritic Cells and CCR7 Expression: An Important Factor for Autoimmune Diseases, Chronic Inflammation, and Cancer“. International Journal of Molecular Sciences 22(15):8340. doi: 10.3390/ijms22158340.
Cohen, Caroline, Kevin Fontaine, Rebecca Arend, Taraneh Soleymani, und Barbara Gower. 2018. „Favorable Effects of a Ketogenic Diet on Physical Function, Perceived Energy, and Food Cravings in Women with Ovarian or Endometrial Cancer: A Randomized, Controlled Trial“. Nutrients 10(9):1187. doi: 10.3390/nu10091187.
Huang, Chongyang, Jun Wang, Hongbin Liu, Ruo Huang, Xinwen Yan, Mengyao Song, Gao Tan, und Fachao Zhi. 2022. „Ketone Body β-Hydroxybutyrate Ameliorates Colitis by Promoting M2 Macrophage Polarization through the STAT6-Dependent Signaling Pathway“. BMC Medicine 20(1):148. doi: 10.1186/s12916-022-02352-x.
Malhab, Lara J. Bou, Maha M. Saber-Ayad, Ranyah Al-Hakm, Vidhya A. Nair, Panagiotis Paliogiannis, Gianfranco Pintus, und Wael M. Abdel-Rahman. 2021. „Chronic Inflammation and Cancer: The Role of Endothelial Dysfunction and Vascular Inflammation“. Current Pharmaceutical Design 27(18):2156–69. doi: 10.2174/1381612827666210303143442.
McDaniel, Sharon S., Nicholas R. Rensing, Liu Lin Thio, Kelvin A. Yamada, und Michael Wong. 2011. „The ketogenic diet inhibits the mammalian target of rapamycin (mTOR) pathway“. Epilepsia 52(3):e7–11. doi: 10.1111/j.1528-1167.2011.02981.x.
Thio, Christina Li-Ping, Alan Chuan-Ying Lai, Yu-Tse Ting, Po-Yu Chi, und Ya-Jen Chang. 2022. „The Ketone Body β-Hydroxybutyrate Mitigates ILC2-Driven Airway Inflammation by Regulating Mast Cell Function“. Cell Reports 40(13). doi: 10.1016/j.celrep.2022.111437.
Zhang, Anni M. Y., Elizabeth A. Wellberg, Janel L. Kopp, und James D. Johnson. 2021. „Hyperinsulinemia in Obesity, Inflammation, and Cancer“. Diabetes & Metabolism Journal 45(3):285–311. doi: 10.4093/dmj.2020.0250.
Zhou, Hongyu, Yan Luo, und Shile Huang. 2010. „Updates of mTOR inhibitors“. Anti-cancer agents in medicinal chemistry 10(7):571–81.
Zong, Wei-Xing, Joshua D. Rabinowitz, und Eileen White. 2016. „Mitochondria and Cancer“. Molecular Cell 61(5):667–76. doi: 10.1016/j.molcel.2016.02.011.